Hut ab vor unseren Asylwerbern

Die Urlaubswochen sind vorbei, die Erfahrungen in den fernen Ländern gebührend ausgetauscht, da und dort startet bereits die Werbung für die Urlaubsfreuden 2019. Nichts dagegen einzuwenden: sich die Welt mit offenen Augen anzuschauen ist um Meilen besser als Urteile über Menschen anderer Länder abzugeben, die man überhaupt noch nie gesehen hat. Vielleicht lässt man aber auch einmal die Erfahrungen revue passieren, was die Sprache im Urlaubsland betrifft, englischsprachige Nationen vielleicht ausgenommen. Schwieriger mag es aber schon im benachbarten Italien oder gar in Frankreich werden. Ohne kurios wirkendem Gestikulieren ist dort oft kein Weiterkommen mehr möglich. Oder gar erst in unserem Norden und Osten, wo mit den Tschechen und Slowaken die slawischstämmigen Menschen zuhause sind. Die anfängliche Euphorie der Tschechischkurse nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ist längst abgeebbt, das Interesse an der tschechischen Sprache ist auf ein Minimum geschrumpft, die wunderbaren Städte wie Prag, Brno oder etwa Plsen lassen sich auch ohne mühsames Erlernen der Sprache erkunden, die Kellner kommen uns sprachlich eilfertig entgegen. Andere Erfahrungen habe ich heuer in der westlichen Ukraine gemacht. Im Land, das etwa 140 Jahre zur österreichisch-ungarischen Monarchie gehört hat und Deutsch eine von mehreren Umgangssprachen war, erinnert sich daran heute kaum noch jemand. Auch Englisch wird weitgehend gemieden. Was gesprochen wird, ist Ukrainisch oder Russisch. Für uns Touristen hieß das, entweder die rudimentären Reste vom lange zurückliegenden Tschechischkurs ausgraben oder mit Händen und Füßen darzulegen, was man wünschte. Die allermeisten Mitglieder unserer Reisegruppe standen vor einer unüberwindlichen sprachlichen Wand.

Die Stoßrichtung meiner Gedanken dreht sich um all die Asylwerber, die 2015 aus Ländern zu uns gekommen sind, in denen Deutsch absolut keine Rolle gespielt hat. Höre ich diese Menschen heute sprechen, würde ich nie und nimmer glauben, dass sie erst vor drei Jahren erste sprachliche Erfahrungen mit unserer Muttersprache gemacht haben. Heute besuchen sie Schulen, stehen in Berufen oder in der Lehre und freuen sich großteils einer hervorragenden Nachrede. Dass etliche von ihnen trotz alldem vor der Abschiebung stehen, ist ein bedauernswerter Skandal, den weiter zu erörtern hier aber den Rahmen sprengen würde.

Ich versetze mich in die Lage von Asylwerbern und stelle mir vor, ab sofort aus irgendeinem Grund in der Ukraine oder in Afghanistan leben zu müssen. Wie lange würde es dauern, bis ich mich in dieser Sprache auch nur rudimentär ausdrücken könnte. Oder gar, bis ich in der Lage wäre, eine Schule zu besuchen und einen Beruf auszuüben. Ich fürchte, in drei Jahren bei weitem nicht so weit zu sein. Das Gedankenspiel soll die Achtung und den Respekt gegenüber den Zuwanderern erhöhen. Natürlich ist das Erlernen der Sprache des neuen Landes ein Um und Auf der Integration. Aber wie rasch und gut die allermeisten der von so vielen Landsleuten und Politikern scheel angeschauten Zugewanderten das geschafft haben, verdient allergrößte Hochachtung.

Fragwürdige Nachhilfestunden

Wenige Woche nach Schulbeginn nehmen sie wieder an Fahrt auf: die Nachhilfestunden für Schüler, die es aus eigener Kraft nicht schaffen, die verlangten Leistungen zu erbringen. Unmengen an Geld investieren Eltern, um mithilfe von externen Stunden den Status ihrer Kinder zu erhalten oder auch, um deren Chancen im späteren Leben zu wahren. Mit Chance meinen sie im Allgemeinen die Matura. Sie öffnet nach althergebrachter Mär den Weg zur Universität und damit zu einem erfolgreichen und sorgenlosen Leben weit abseits von wenig angesehener Handarbeit. Was bis vor wenigen Jahren gestimmt haben mag, entspricht heute bei weitem nicht mehr der Wirklichkeit. Ich kenne viele junge Universitätsabsolventen, deren akademischer Titel in keiner Weise zum gewünschten Job geführt hat. Sie fretten sich als Herr oder Frau Magister mit Jobs über die Runden, die ihnen früher bestenfalls nur in Albträumen untergekommen wären. Zugleich teile ich wohl mit Ihnen allen den Umstand, wochen- und teils monatelang auf den zugesagten Besuch eines Handwerkers warten zu müssen, weil irgendwo ein Wasserhahn tropft, eine Stiege neu zu pflastern wäre oder ein Möbelstück umzuarbeiten ist. Die gegenwärtige Spitze unserer Bundesregierung als weiteren Beweis dafür anzuführen, wie vorteilhaft es sein kann, nicht studiert zu haben, erscheint mir zu polemisch, obwohl es stimmt, dass weder Kanzler noch Vizekanzler aufgrund fehlender Qualifikationen nicht einmal als Abteilungsleiter einer Bezirkshauptmannschaft in Frage kämen. Und doch liegt das Beispiel nicht ganz falsch für die Stoßlinie dieses Kommentars. Jeder Mensch soll das Glück haben, jene Bildung zu erfahren, die möglichst gut zu ihm passt. Vergleiche mit Nachbarkindern, die in der Schule vielleicht erfolgreicher vorankommen, sind in jedem Fall hinderlich. Interessant ist nur die Entwicklung des eigenen Kindes entsprechend seiner Begabung. Wer für mehrere Kinder verantwortlich ist, weiß um die Unterschiedlichkeit dieser Begabungen selbst bei den verwandtesten genetischen Voraussetzungen. Zurück zum Handwerk: dass es bei uns längst nicht mehr goldenen Boden hat, liegt auch am Umstand, dass ihm in hohem Ausmaß das Personal fehlt. Woher soll es denn kommen, wenn die Gymnasien aus allen Nähten platzen und Eltern mit allen Mitteln versuchen, ihre Kinder aus erwähnten Gründen in der höheren Schule zu halten? Ein Umstieg in eine weniger fordernde Schule wird zumindest am Land noch immer als peinlicher Abstieg empfunden. Dass er die Chance für ein begabungs-bestimmteres Leben des Kindes und damit auch der Schlüssel für sein späteres berufliches und menschliches Glück sein kann, wird nur selten gesehen. Gesellschaftspolitisch könnte es in dieser Hinsicht vielleicht tatsächlich hilfreich sein, wenn Meisterprüfungen denen von akademischen Bachelor-Absolventen gleichgesetzt werden, um scheinbare Ungleichheiten zu verhindern. Weil es ja ohne viel Polemik wirklich so ist: ein geschickter Tischler, Elektriker oder Fliesenleger ist in der alltäglichen Lebenspraxis mindestens so gefragt wie ein Lebensberater, ein Unternehmenscoach oder ein Geographieprofessor. Klar brauchen wir in Wahrheit alle davon, aber wir sollen uns hüten, sie gegeneinander auszuspielen und vor allem sollten wir uns hüten, Kinder in die eine oder andere Richtung zu drängen, wenn deren Begabung in eine andere Richtung weist.

Zweierlei Maß in der Kirche

Auffälliger könnte die Diskrepanz nicht sein: da absolvieren zwei Menschen die nahezu identische Ausbildung, bestehen alle erforderlichen Prüfungen, das Dekret zur Berufsausübung wird aber nur EINER Person überreicht. Eine undenkbare Diskriminierung im zivilen Leben, die auch rechtlich wohl nicht lange standhalten könnte und von jeder Gleichbehandlungskommission zurückgeschmettert werden müsste. Anders im Bereich der katholischen Kirche, aus deren Bereich der beschriebene Fall stammt. Ein Mühlviertler Ehepaar startet die mehrjährige Ausbildung zum Amt des Diakons, wohl wissend freilich, dass nach derzeit gültigem Kirchenrecht nur Männer für dieses Weiheamt zugelassen sind. An der Ausbildung teilzunehmen steht aber jeder geeigneten und daran interessierten Person frei, also auch Frauen. Jahre nach dem theologisch durchaus herausfordernden nebenberuflichen Studium endlich der Tag der Weihe durch den Bischof im Linzer Dom mit anschließender Amtseinführung ein paar Wochen später in der Heimatpfarre: das Ehepaar betritt Hand in Hand den Altarraum, dem Mann wird die schräg über den Körper verlaufende Stola umgelegt, seine Frau wird mit einem gleichfarbigen Halstuch „abgespeist“. Auch sie darf in der Pfarre tätig sein, nicht aber so wie ihr Mann. Taufen und Eheschließungen bleiben für sie tabu. Der Unterschied mag klein und irrelevant erscheinen, er ist es aber nicht. Die zutage getretene Diskrepanz zeigt eine offene Wunde in der katholischen Kirche. Rührt sie doch an der generell als geringschätzend empfundenen Haltung gegenüber den Frauen. Kirchenrecht hin oder her: wenige können verstehen und nachvollziehen, warum gerade beim gegenwärtigen eklatanten Priestermangel vor allem in Europa Frauen der Dienst am Altar verwehrt bleibt. Zumindest als Diakon könnte man Frauen nach der entsprechenden Ausbildung zulassen, so der oft auch in höchsten Kirchenkreisen gehörte Wunsch. Der oben beschriebene Fall des nur teilweise geweihten Ehepaares wird sich wohl nicht bis zum Papst nach Rom durchsprechen: er ist aber ein anschauliches Beispiel für die durchaus verbesserungswürdige Personalpolitik der katholischen Kirchenführung. Papst Franziskus selbst dürfte dem Vernehmen nach ohnedies durchaus Sympathie für weibliche Diakone haben. Bis es dafür aber offiziell grünes Licht aus dem Vatikan gibt, gilt es noch massive Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Die Zeit dafür drängt. Es ist zu befürchten, dass auch katholische Frauen, die im zivilen Leben längst an eine weitgehende und wertschätzende Gleichbehandlung gewohnt sind, nicht mehr lange zuschauen wollen, bis ihnen dieses Menschenrecht auch in ihrer Kirche zugestanden wird. Noch dazu, wo rund um sie die höchste personelle Notwendigkeit dafür besteht und amtierende Priester kaum noch aus und ein wissen, wie sie ihre seelsorglichen Verpflichtungen bewältigen können. Und eine letzte Vermutung: auch für junge, moderne Männer dürfte eine Organisation nicht unbedingt berauschend sympathisch wirken, die Frauen systematisch ungleich behandelt und trotz gleicher Ausbildung vom geistlichen Amt fernhält.

Fragwürdige Kunstobjekte

Die sommerliche Hochzeit der Künste aller Art sorgt nicht nur für Applaus. Soll sie auch nicht. Es wäre zu wenig, wollte Kunst nur gefallen. Ihre Aufgabe ist (vor allem) eine andere, als bloß für zufriedene Erbauung und Wohlgefallen zu sorgen. Bedient sie nur das Bedürfnis nach Behübschung für Aug und Ohr, ist sie nicht weit von Kitsch entfernt. Soweit meine persönliche Haltung, es gibt aber doch ein großes Aber: zwei Fotoausstellungen im Linzer Kunstmuseum Lentos lassen mich stocken. Beeindruckende Bilder von Nilbar Güres und Katharina Gruzei zweifellos, aber sind sie es Wert, gleich im Museum zu landen? Was ist, ein wenig spitzbübisch gefragt, mit meinen Schnappschüssen vom sonntäglichen Stammtisch oder vom Besuch meiner Enkel, von denen einige Fotos ebenfalls gut gelungen sind und zu fast jedem einzelnen ein durchaus philosophischer Anhang gesetzt werden könnte, wenn man wollte oder müsste?

Was ist Kunst überhaupt und wer definiert das? Erlauben Sie einen Blick in meinen privaten Wohnraum: Warum ist von 2 gerahmten Gemälden das Eine, mit Signatur versehene Bild Kunst, das andere, mit dem das Bild verpackt war und an dem der Künstler nur die Pinsel abgewischt hatte und ich es später spaßhalber rahmen ließ, keine Kunst? Meiner Familie und mir gefällt das nur zum Spaß gerahmte Verpackungsbild genauso wie das eigentliche Kunstwerk, der befreundete Maler selbst möchte es uns aber am allerliebsten wegnehmen.

Darf und kann nur der Künstler selbst bestimmen, welches seiner Werke als Kunst zu gelten haben oder haben wir Betrachter doch auch ein Wörtchen mitzureden?

Kunst komme von Können, meinte ich lange Zeit, diese Definition scheint aber zu kurz gegriffen. Auch das banale Argument für den Ankauf des einen oder anderen Gemäldes, es würde mir gefallen oder in die Wohnung passen, wage ich nicht mehr laut zu sagen. Aber: ist etwa gar nur das Kunst, was mir ausdrücklich nicht gefällt? Ist Gefallen überhaupt eine Kategorie?

Im bereits erwähnten Kunstmuseum Lentos stießen wir auf einen großen Haufen von Edelschrott mitten in einem Ausstellungsraum. „Bitte nicht berühren“, mahnte der strenge Aufseher und erklärte das „Werk“ damit umso mehr zur heiligen Kunst. Oder gleich im Raum daneben: die ziemlich unfertig wirkende Installation, die uns an eine Baustelle erinnerte: DAS soll also Kunst sein? Dafür wird so viel öffentliches Geld ausgegeben? Wer trifft die Entscheidung, was in diesem Sinn förderungs- und ausstellungswürdig ist und was nicht?

Zugegeben, aus einer Mischung von Wut und Spaß habe ich noch am Abend desselben Tages die Bilder einer Seite unseres Wohnzimmers umgedreht und dies zur Kunst erklärt. Es würde mir nicht allzu schwer fallen, diese Rückseiten mit durchaus intelligent klingendem Geschwafel zu beschreiben, Marke: ein Künstler lädt sie ein, seine Hintergründe zu bedenken. Augen weg von gleißendem Gold oder blutigem Rot, Augen hin auf die banale, unromantische Welt des dahinter Liegenden, undsoweiter. Künstler aller Art brauchen Freiheit zur Interpretation ihrer Welt, ob das Ergebnis gefällt oder nicht, ganz klar. Für manches sind die Rezipienten wahrscheinlich noch nicht reif genug. Aber nochmals: wer entscheidet, ob dies oder jenes nun Kitsch, Mist oder Kunst ist?

 

Beunruhigende Kehrtwendungen

„Die tun es ja wirklich!“ Das mag die Reaktion mancher Bürger sein, die bei der letzten Nationalratswahl türkis oder blau gewählt haben und nun darüber staunen, dass schon in dem halben Jahr seither die Republik eine andere geworden ist. Prinzipiell ist Aufregung darüber nicht geboten. Die neuen Regenten tun, was nach Regierungswechseln eigentlich üblich und normal ist: sie setzen ihre Wahlprogramme um, sie verschaffen sich Zugriff auf einflussreiche Institutionen und Unternehmen, sie richten den Staat nach und nach so aus, wie es ihnen richtig erscheint. Frühere Regierungen haben ähnliche Intentionen gezeigt, vielleicht mit weniger Erfolg als Kurz. Auch wenn der mit dem Vorwurf leben muss, sich innerparteilich an die Macht geputscht zu haben, ist die von ihm als Kanzler angeführte Bundesregierung demokratisch gewählt, und doch: das Tempo und die Richtung der angeschlagenen Veränderungen sorgen für Erstaunen, für Verunsicherung, mancherorts auch für Entsetzen. Wenn Mitglieder dieser aktuellen Bundesregierung einen italienischen Minister umarmen, der in Städten ethische Säuberungen propagiert, wenn sich der Kanzler selbst in den Schatten des ungarischen Viktor Orban begibt und im Verein mit dem bayrischen Markus Söder den Sturz der letzten großen Europäerin Angela Merkel mitbetreibt, kann einem wahrlich unwohl werden. Demokraten alter Schule zeigen sich verärgert ob der Härte gegenüber Flüchtlingen, sie sorgen sich wegen der zur Schau getragenen herzlosen Haltung in sozialen Fragen, Beispiel 12-Stunden-Woche, und sie fragen sich in diesem Zusammenhang, ob eine derartige Politik vielleicht bereits der Tribut ist für die durchaus großzügigen Wahlkampfspenden aus dem Bereich der Wirtschaft. Wohin driftet Europa, welchen Weg beginnt Österreich hier mitzugehen? Waren die letzten krieglosen 70 Jahre mit aller teilweise auch ärgerlichen Gemütlichkeit im Grunde wirklich so schlecht, dass es jetzt einer völligen Kehrtwendung bedarf? Wohin führt es, wenn Staaten beginnen, wirklich mit aller Konsequenz auf eine egoistisch-populistische Politik des „Wir zuerst“ zu setzen? Ist das gemeinsame Friedensprojekt, das wohl für die allermeisten Menschen das vielleicht stärkste Argument war, damals für die EU zu stimmen, wirklich bereits wieder am Scheitern? Sind die Signale nicht stark genug, Politikern Einhalt zu gebieten, die nach britischem Vorbild mehr oder weniger unverblümt einen Austritt auch ihrer Länder andenken? Ganz offensichtlich bedarf es nur des Wahlsiegs einiger rechtspopulistischer Parteien und ein mühsam und langsam aufgebautes europäisches Gebilde gerät ins Wanken. Die Folgen wären kaum auszudenken, weder wirtschaftlich, noch vor allem, was den Erhalt des Friedens betrifft. Kehrtwendungen scheinen zum neuen, zugkräftigen Leitbild in der Politik geworden zu sein. Sie sind aber kein gutes Rezept für die innere Ruhe und die nötige Gelassenheit eines Volkes. Auch nicht für besonders großes Vertrauen denen gegenüber, die gerade an der Spitze stehen, selbst wenn sie sich auf demokratisch zustande gekommene Mehrheiten stützen können.

Die wahren Heiligen

Nicht belasten, 3 Wochen lang! Mit diesem Auftrag zur Behandlung meines linken Fußes habe ich das Krankenhaus verlassen, viel früher, als ich es erwartet hätte. Bloß vier Tage war ich nach der notwendig gewordenen Plattfuß-Operation stationär, jetzt also in häuslicher Pflege mit 3-wöchigem Belastungsverbot. „Früher wären Sie 2-3 Wochen bei uns gelegen, seit der Spitalsreform ist das nicht mehr möglich“, sagte mir die Schwester vor dem Heimgehen. Klar, damals wurden die Spitäler für die Belagstage honoriert, jetzt werden statt dem die durchgeführten Behandlungen als Basis der Finanzierung herangezogen. Also: Operation plus wenige Tage danach, in meinem Fall vier Tage. Früher wurden vergleichbare Patienten mit Gehgips entlassen, sie waren einigermaßen mobil, ich trage Liegegips, humple mühsam mit Krücken durch die aber glücklicherweise barrierefreie Wohnung. Glücklich kann ich über ein weiteres nicht gering zu schätzendes Privileg sein: ich bin seit 44 Jahren verheiratet und meine liebe Frau umsorgt mich mit allem, was mir gut tut, aber nicht nur sie: viele Freunde haben ihre Hilfe angeboten, wann immer ich es brauchen sollte (oder sie selbst Gusto auf ein Gläschen Bier oder Wein mit mir haben…). Schluss mit meiner persönlichen Situation, die sich nach der Operation des zweiten Fußgewölbes in einem halben Jahr wohl wiederholen wird. „Nächste Woche kommt eine Patientin nach einem ähnlichen Eingriff zu uns“, verriet mir die Schwester noch, „die ist älter, lebt in einer mit Stiegen versehenen Wohnung und hat niemanden. Keine Kinder, wenig Anschluss, niemanden.“ Ein längerer Spitalsaufenthalt ist auszuschließen. Eine ambulante Pflege, die einmal täglich nach dir schaut, ist in so einem Fall extrem wenig, bleibt nur der befristete Aufenthalt in einem Pflegeheim, in dem es nach Auskunft der Caritas genügend Kurzzeit-Betten gibt. Der Fall bietet Anlass, auf die grundsätzliche Situation von immobil gewordenen Menschen zu blicken. Abgesehen von der unvorstellbaren Tristesse, eine Wohnung tage- wochenlang oder überhaupt nicht mehr verlassen zu können und die (ohnedies fragwürdig gewordene) tägliche Ankunft des Briefträgers als DEN Höhepunkt im Tagesverlauf zu erleben: ist DAS Genesung, ist DAS Leben, wenn jeder Schritt in den eigenen vier Wänden gefährlich ist, wenn der Weg zum WC schweißtreibend ausfällt, die tägliche Dusche zum Stundenprogramm wird, wenn es undenkbar ist, sich in der Küche auch nur eine Kleinigkeit selbst zubereiten und man es zu guter Letzt auch nicht mehr aushält, Stunden um Stunden in einem ohnedies bequemen Lehnstuhl zu verbringen? Patienten, die rechtzeitig gelernt haben, mit Elektronik einigermaßen umzugehen, finden Ablenkung durch diese Technik, aber was ist mit denen, denen schon ein Anruf am Handy, so sie wenigstens so eines besitzen, Herzrasen verursacht? Ja, und noch einmal seien sie höchst lobend erwähnt: all die Verwandten und Freunde, all die meist pfarrlich organisierten Besuchsdienste, die sich rührend um die Bettlägerigen kümmern; aber noch jemand sei vor den Vorhang geholt: all jene, die ihre Energie darauf konzentrieren, solche Menschen zu pflegen, die das selber nicht mehr schaffen. Ob bezahlt oder nicht, ob aus dem Ausland oder aus der Verwandtschaft: sie sind die wahren Heiligen unserer westlichen Gesellschaft, sie werden immer nötiger, je weniger von ihnen zur Verfügung stehen.

Fatales Sparsignal

„Dahoam is dahoam. Wannst net fortmuasst, so bleib…“ Seit schier ewigen Zeiten, wird das bei jedem Festakt des Landes als dritte Strophe gesungen. So schön unsere Landeshymne ist, ich fürchte, der merkwürdige Inhalt dieser Zeilen beginnt zu wirken. Daheim bleiben, nicht über die Grenzen schauen, den Kontakt zu den Nachbarn meiden. Einen schlechteren Rat kann es kaum geben. Vor allem nicht, wenn damit junge Menschen erreicht und erzogen werden sollen. Nicht einmal Franz Stelzhamer selbst hat sich an die von ihm verfassten Zeilen gehalten. Er war zeitlebens ein unsteter Geselle: Schauspieler, Schriftsteller, Journalist in Wien, Oberösterreich, Salzburg und Deutschland. Vom Daheimbleiben im Innviertel hat er wenig gehalten, vielleicht seiner persönlichen Not gehorchend. Seit dem 19. Jahrhundert hat sich viel geändert, Gott seis gedankt. Andere Länder anzuschauen ist nicht nur touristischer Alltag, sondern auch weise Lebensphilosophie. Wer sich auf andere Lebensweisen einlässt, wer andere Menschen kennen lernen möchte, wer Eigenheiten anderer Länder studiert, erweitert seinen Horizont und bereichert sein Leben. Scheuklappen und Vorurteile verschwinden leichter, wenn man den Blick über die eigenen Grenzen hebt. Überzeugte Stubenhocker können zur politischen Gefahr werden. Ein Land ist gut beraten, wenn es junge Reisende fördert. Oberösterreich hat das viele Jahre lang getan, das Land hat sich davon aber mit Jahresbeginn verabschiedet. 730 Euro haben Schulklassen bekommen, die eine Woche pro Schuljahr in England, Frankreich oder Italien Sprachunterricht gemacht haben. Eine beträchtliche Unterstützung, die es vielen Klassen erst möglich gemacht hat, die Reise anzutreten. Seit 2018 ist Schluss damit. Die Förderung wurde gestrichen, in vielen Fällen müssen die Eltern tiefer in die Tasche greifen, in manchen Schulen fällt die Sprachreise jetzt einfach aus. „Dahoam is dahoam. Wannst net fortmuasst, so bleib“. Sprachen kann man auch anders lernen, im gewohnten Klassenzimmer, vielleicht sogar mit einem Sprachassistenten aus dem jeweiligen Land. Was man daheim nicht lernen kann, das ist das Flair des anderen Landes: der Geruch, das Klima, die Küche, der Kontakt zu den dort Lebenden. Ich erinnere mich an die Erfahrungen der eigenen Kinder nach den Sprachwochen, die von ihnen zu den schönsten Schulwochen überhaupt erklärt wurden. Ich finde, das Land setzt mit dieser Einsparung ein fatales Signal. Gefördert wird Engstirnigkeit und nicht Weite. In einem Land, das sich jüngst als das „Land der Möglichkeiten“ proklamiert hat, müssten solche Förderungen erfunden oder erhöht, aber keinesfalls gestrichen werden. Der hohe Verwaltungsanteil, der für die Streichung von der zuständigen Abteilung ins Treffen geführt wird, erscheint im Vergleich zu dem damit erzielten pädagogischen Wert nicht schlagend. Auch der Hinweis, dass mit der bisher ausbezahlten Förderung kaum eine finanzielle Entlastung verbunden war, ist nicht nachvollziehbar. 730 € sind zwar bescheiden, aber für jede Klasse spürbar.

 

Zu überlegen wäre grundsätzlich auch, ob der als 3. Strophe gesungene Liedtext der wirklich beste ist für ein Lied, das zu allen festlichen Gelegenheiten gesungen wird. Immerhin stünden von Franz Stelzhamer fünf weitere Strophen zur Verfügung, die bestimmt das Zeug für eine Landeshymne hätten. Aber das ist eine andere Geschichte.

Das schwierigste Fest

Ostern hat ein schweres Los zu tragen. Verglichen mit Weihnachten lässt es sich so gut wie gar nicht vermarkten. Ein Leichnam auf einem Kreuz hat eindeutig das Nachsehen gegenüber einem Kind in einer Krippe. Der Leichnam hat alles hinter sich, dem Kind steht alles offen. So sehr sich Theologen aller Zeiten bemüht haben, den Vorrang des Ostergedankens vor allen anderen christlichen Festen zu betonen: in die Herzen der Gläubigen ist das zumindest bei uns kaum gedrungen, schon gar nicht in unseren modernen Zeiten, die Erfolg und Misserfolg am Marktwert orientieren. Da liegt Weihnachten meilenweit vor Ostern, ja auch Muttertag und Valentinstag haben die Nase vorn. Und doch: ohne Ostern wäre das Christentum nichts. Es begründet seinen Glauben auf der Auferstehung dieses am Kreuz gestorbenen Jesus und in der Folge auf der Hoffnung, jeder Mensch könne dieses Wunder dereinst auch für sich erhoffen. Zugegeben ein schwieriger, dann aber auch tröstender Gedanke. Wer diesen Glauben in sich trägt, tut sich im Leben möglicherweise leichter. Gescheite Philosophen mögen das als Opium interpretieren, Psychologen gestehen dieser Grundhaltung trotz aller immer wieder auftauchender Glaubenszweifel durchaus lebensbewältigende Kraft zu. Nur eines bleibt unbestritten: gewiss ist gar nichts. Nicht einmal der Papst wisse, ob es ein Leben nach dem Tod gebe, sagte am Aschermittwoch der Linzer Zelebrant eines sehr beeindruckenden Gottesdienstes in überraschender Ehrlichkeit und er hat Recht damit. Auf ein Leben danach könne man aus vielen guten Gründen hoffen, Gewissheit gebe es aber nicht. Welche Rolle kommt in diesem Zusammenhang den christlichen Kirchen zu, die vor allem in Europa nach wie vor unter einem schmerzhaften Aderlass an Mitgliedern leiden? Dass die Mitgliedschaft in einer Kirche sozusagen der Freifahrtschein in den Himmel wäre, vertritt längst niemand mehr. Wenn Jesus durch seine Auferstehung ein Zeichen setzen wollte, dann wohl nicht nur für die Mitglieder christlicher Kirchen, die es zu seiner Zeit in dieser Form ja überhaupt noch nicht gab, sondern für alle Menschen, also auch für Ausgetretene oder Andersgläubige. Kirchen leisten aber dennoch einen wesentlichen Beitrag für die Osterbotschaft. Sie verstehen sich als Gemeinschaft, halten das Geschehen von damals lebendig, sie bieten Hilfestellungen und neue Sichtweisen auf den Kern des Christusglaubens, sie setzen die Folgen des Osterwunders konkret um, indem sie sich zum Beispiel für Arme und Benachteiligte einsetzen oder auch versuchen, das Geschehen um sie herum aus dem christlichen Glauben heraus zu messen und auf politische Fehlentwicklungen hinzuweisen. Der aktuelle Papst Franziskus lebt genau das in beeindruckender Weise auf sehr anschauliche und für manche durchaus irritierende Weise vor. Er versucht die Welt besser zu machen: ökologisch und in der Beziehung der Menschen zueinander, getragen von der Grundhaltung, dass dies wohl im Sinne dieses Jesus ist, dessen wundersame Auferstehung wir gerade wieder feiern oder feiern sollten. Egal jetzt, ob in einer Kirche, auf irgendeinem Berg oder im Osterurlaub an einem Palmenstrand.

Legaler Kurswechsel

Mehr und mehr zeigen sich Landsleute irritiert über das, was in der heimischen Bundes-politik gerade vor sich geht. Wer sich zum Beispiel in sozialen Netzwerken ein wenig umsieht, dem fällt blanker Hass gegenüber der derzeitigen Bundesregierung auf, aber nicht nur dort. Sogar auf der Straße war ich neulich mit der Frage konfrontiert, wie lange sich schwarz-blau meiner Meinung nach noch halten werde. Veränderungen können verwirren und verunsichern. Das erleben wir gerade in Österreich und auch christlich und/oder sozial geprägte Menschen verweisen auf schmerzhafte finanzielle Einschnitte, die ihre Klientel deswegen zu tragen habe: Beispiel Mindestsicherung, Beispiel Arbeitslosengeld, Beispiel Kindergeld für ausländische Pflegerinnen undundund. Beinahe erwecken manche Mitmenschen den Eindruck, als würden sie sich die heillos zerstrittene frühere Bundesregierung von rot-schwarz zurücksehnen. Bei der Berechtigung aller Kritik am Parteienübereinkommen von schwarz-blau: diese Koalition wurde am 15. Oktober letzten Jahres völlig legal gewählt und es ist eine ganz normale Konsequenz, dass jetzt die Weichen demnach gestellt werden. Auf diese Normalität hinzuweisen halte ich deshalb für nötig, weil der Eindruck besteht, als würden Kritiker nichts lieber wünschen, als diese Regierung samt ihrem jungen Bundeskanzler möglichst rasch aus dem Amt zu jagen. Tatsächlich gibt es für manche Kurskorrektur auch gute Gründe, wie Kommentatoren in Medien immer wieder anführen und wie es auch Dr. Rolf Gleißner von der Bundeswirtschaftskammer kürzlich bei einer Veranstaltung von #christlichgehtanders in Wien durchaus eindrucksvoll getan hat. Klar ist freilich auch, dass Politik kritisierbar bleiben muss. Der Ökonom Dr. Stephan Schulmeister ist so ein Kritiker, der es versteht, den Bogen weit zu spannen und den von ihm diagnostizierten grundsätzlich neoliberalen Kurs der neuen Bundesregierung verurteilt. Er darf und er soll das dürfen, genauso wie all jene, die auf negative Konsequenzen mancher Veränderung auf das Leben ihrer Schutzbefohlenen verweisen. Auch das gehört zur Demokratie und sollte selbst den Regenten wenn auch lästig, so doch wertvoll sein. Aber die gesamte Regierung deshalb zu verjagen wäre doch ein höchst undemokratischer Akt. Es wird die Möglichkeit dazu geben, aber erst nach der Amtszeit der Regierung am nächsten Wahltag. Es mag ja sein, dass die Mehrheit der kritisch denkenden Österreicher am 15. Oktober anders gewählt hat als schwarz-blau. Aber Mehrheit ist in einer Demokratie nun einmal Mehrheit. Dass die flotten Sprüche auf den Plakaten die meisten Wähler offensichtlich mehr überzeugt haben als differenzierte und kritische Kommentare in den Zeitungen, ist in diesem Licht ebenso zur Kenntnis zu nehmen und schließt an eine große Frage an, die bei einer von OÖN und ORF veranstalteten Diskussion kürzlich offen geblieben ist: wie lässt sich die breite Masse heutzutage noch intellektuell erreichen. Immer mehr Menschen scheinen Gratisblätter und Facebook zu genügen. Die Umfrage an einer 3. Klasse Hauptschule im Mühlviertel passt in das gleiche Bild: die Lehrerin fragte im Zuge eines Zeitungsprojektes nach den Abos ihrer Eltern: nur vier von 15 Kindern wachsen in Familien auf, in denen es noch eine Tageszeitung gibt. Drei Viertel kennen das nicht mehr. Ihre Wahlentscheidung wird dereinst danach fallen, wer die knalligsten Plakate zu liefern imstande ist.

 

Star oder Verbrecher?

Toni Sailer war auch ein Idol meiner Jugend. So zu gewinnen und so aufzutreten wie er, das hatten wir damals in den 60-er Jahren nicht gekannt und so faszinierte er uns auch. Dass jetzt schwere Schatten auf das längst verstorbene Idol fallen, sorgt für massive Irritationen. Journalisten, die sich auf die Geschichte gesetzt haben, geraten unter Beschuss, sie würden die Totenruhe stören und mögen doch die Finger davon lassen. Jetzt ist es tatsächlich so, dass damals, lange vor dem Fall des Eisernen Vorhangs unbescholtene Promis mitunter für politische Zwecke missbraucht wurden. Durchaus denkbar, dass Toni Sailer aus demselben Grund eine Prostituierte untergeschoben wurde, nur: bewiesen ist das nicht und der Verdacht des Missbrauchs wiegt durchaus schwer. Den Fall nicht aufzuklären und ihn unter Verschluss halten geht gar nicht. Die Augen vor einem möglichen Verbrechen zu verschließen wäre vielleicht typisch österreichisch, aber absolut nicht gut zu heißen, selbst wenn die Geschichte schon vor Jahrzehnten passiert ist. Erst ein Vertuschen würde das Andenken an das Ski-Idol nachhaltig schädigen. Nur der Versuch der restlosen Aufklärung und der entsprechenden Publizierung wird seiner Persönlichkeit gerecht. Bestätigt sich der schwere Verdacht, mögen die sportlichen und später sonstigen Verdienste Sailers durchaus gewahrt bleiben. In vielen Persönlichkeiten liegen halt gute und schlechte Seiten nahe beisammen und es gilt, sie gesondert zu bewerten. Charaktere entwickeln sich freilich nicht steril innerhalb der Persönlichkeit, sondern sie werden auch von ihrer Umwelt mitgeprägt, also davon, wie sie von den sie umgebenden Personen betrachtet werden. Wunderbar eindringlich zu erleben ist dieses psychologische Phänomen derzeit im Schauspielhaus des Linzer Landestheaters im Stück „Andorra“ von Max Frisch. Ein junger Mann wird als Jude ausgegeben, ohne das zu sein. Seine judenfeindliche Umgebung treibt es soweit, dass Andri Verhaltensweisen an den Tag legt, die Juden zugeschrieben werden und er es schließlich selbst nicht glauben will, kein Jude zu sein. Es ist zu spät, als sich der fatale Vorfall aufklärt. Andri ist bereits tot. Als Jude ermordet. Wem diese Darstellung mitmenschlicher Beeinflussung zu martialisch ist, es geht auch umgekehrt: denken Sie an „My fair Lady“, wo ein durchschnittliches Vorstadtmädchen durch eine pointiert positive Einschätzung zum Star der Gesellschaft wird. Was Toni Sailer, Andorras Andri und „My fair Lady“ verbindet? Die menschliche Umwelt hat entscheidenden Anteil daran, Menschen zu Stars oder auch zu Verbrechern zu machen. Sie alle haben sich eine gerechte Bewertung durch Juristen und Historiker verdient, ob mit positivem oder negativem Ausgang. Über diese Vorgänge zu informieren ist die Aufgabe von seriösem Journalismus, aber nicht nur das: oft sind es journalistische Recherchen, die eine genauere Betrachtung erst in Gang bringen. Umso wichtiger ist deren Bedeutung in der Gesellschaft, die allzu gerne dazu neigt, den Mantel des Vergessens über Dinge zu decken, die vielleicht die vertraute Gemütlichkeit zu stören imstande wären.