Das „christliche“ Abendland

Das Radio meldet Verkehrsstau in den Tiroler Schigebieten am 31. Oktober und der Sprecher erklärt den Ansturm mit dem arbeitsfreien Reformations-Tag in Deutschland. Und ich erinnere mich an die Radio-Durchsagen rund um den vergangenen österreichischen Nationalfeiertag: Stau auf so ziemlich allen wichtigen Straßenverbindungen. Nicht anders an vielen anderen Feiertagen, etwa zu Christi Himmelfahrt oder Fronleichnam im Frühling. Freie Tage animieren uns immer mehr zum Wegfahren, zum Urlaub machen, zum individuellen Ausspannen. Dazu sind Feiertage zweifellos zunächst auch einmal da. Abwechslung bieten zum Arbeitsalltag. Und sowohl Österreich als auch unsere Nachbarländer bieten sagenhaft schöne Entspannungs- und Entdeckungsdestinationen an. Es scheint mir dabei jedoch, die Begründung des jeweiligen Feiertags wird immer mehr zur absoluten Nebensache. Hauptsache frei, egal warum. Auch kirchliche Angebote zur Vorbereitung auf größere Feiertage, wie es die Fastenzeiten im Advent oder die Wochen vor Ostern sein sollten, interessieren die breite Masse eher wegen der spezifischen kulinarischen Angebote. Also Punsch und Kekse vor Weihnachten, Fischspezialitäten in der Fastenzeit. Das, was christliche Religionen damit meinen, nämlich die Entschlackung von Geist und Körper, holen wir uns bei Bedarf teuer bezahlt in Kur- und Wellnesseinrichtungen.

Ganz anders muslimische Mitbürger. Der regelmäßig wiederkehrende Ramadan ist ihnen heilig, vor allem aus religiösen, wohl auch aus traditionellen Gründen. Viele pflegen auch das mehrmalige tägliche Gebet in Richtung Mekka. Aber sie machen sich uns Europäern damit nicht selten ein wenig suspekt und fremd. Zugleich warnen dieselben Europäer vor der Islamisierung des Abendlandes, denen die eigene christliche Fest- und Feiertradition nichts mehr bedeutet als die Chance auf einen freien Urlaubstag. Es ist eine merkwürdige Argumentation, dasjenige verteidigt und geschützt haben zu wollen, was man selbst im Grunde nicht mehr pflegt und hochhält. Zugleich aber Menschen schief anzusehen, die ihre Religion samt ihren Ritualen und Vorschriften ganz selbstverständlich leben. Seit einiger Zeit schon stehen in Europa die ersten Kirchen zum Verkauf, auch Klöster werden geschlossen. In Dublin habe ich ein riesiges Pub in einer ehemaligen Kirche erlebt, weitere ehemals gut besuchte Gotteshäuser werden an andere Religionsgemeinschaften übergeben oder dem Verfall preisgegeben, weil sie niemand mehr braucht und sie zur finanziellen Belastung für die Pfarren geworden sind. Der Staat wird sich gerade in finanziell angespannten Zeiten schwer tun, in all diesen Fällen mit Ersatzideen einzuspringen. Fazit: wer sich beklagt, dass Europa seine christliche Tradition zu verlieren droht, sollte darüber nachdenken, wie sehr er selbst durch sein Verhalten genau dazu beiträgt. Möglichkeiten dazu gibt es jeden Sonntag. Wem das zu viel des Guten ist, dann am kommenden 8. Dezember. Es wird ein Freitag sein, der wieder ein langes Wochenende in Aussicht stellt…

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